Aus der Geschichte lernen!
83 Jahre nach der Zerstörung von Synagogen und jüdischen Geschäften sowie dem Tod und der Verhaftung tausender Juden in Deutschland und Österreich müssen wir die Erinnerung an die Schoa weiter wachhalten.
Der 9. November 1938 markiert einen zentralen Einschnitt in der deutschen Geschichte. In der Pogromnacht zertrümmerten SA- und SS-Schlägertrupps jüdische Geschäfte, mehr als 1.400 Synagogen wurden zerstört. Hunderte Jüdinnen und Juden wurden ermordet, tausende misshandelt oder verhaftet. Die Bevölkerung sah zu - oder auch weg. Wenige beteiligten sich an den Ausschreitungen, allerdings halfen auch nur wenige den jüdischen Nachbarn.
„Wer versucht, der Geschichte zu entkommen, muss auf Dauer scheitern“, sagte der Historiker Johannes Fried einmal. Wie nahe wir einem solchen Scheitern im 21. Jahrhundert kommen können, zeigen Pöbeleien, Hass und Hetze in der heutigen Zeit. Täglich gibt es Berichte, dass wir uns mehr und mehr dem Rechtsextremismus oder Nationalsozialismus nähern. Organisierte und nicht organisierte Gruppen, im Bund, im Land, die durch rechtsextreme Entwicklungen auffallen.
Jüdisches Leben ist noch immer gefährdet und wird nicht von allen Menschen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft akzeptiert. Neben dem wachsenden Rechtsextremismus und der bleibenden Bedrohung durch Islamisten hat auch die Corona-Krise zu einer Verstärkung des Antisemitismus geführt. Antisemitische Äußerungen finden auch in letzter Zeit immer wieder Eingang in den politischen Diskurs. Sei es bei Beiträgen und Rufen auf Demonstrationen oder in Form anti-israelischer Rhetorik, die dem Antisemitismus den Deckmantel der „Israelkritik“ überwirft. Nicht zu vergessen sind die damit einhergehenden Verschwörungstheorien, die oft einen antisemitischen Ursprung haben.
Dies zeigt, es ist noch viel zu tun. Der Kampf gegen Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen bleibt eine Aufgabe der Stadtgesellschaft und jedes einzelnen von uns. Daher lasst uns diese Herausforderung annehmen und überall gegen jeden Antisemitismus kämpfen. Antisemitismus ist ein Angriff auf uns alle.
Wir brauchen daher eine Respekt-Offensive in allen Bereichen der Gesellschaft, in den Schulen, im Sport, in der Kultur und natürlich in der Politik. Die aktuelle Corona-Krise darf nicht dazu führen, dass vergessen wird, wozu Menschenhass schon einmal in der deutschen Geschichte geführt hat.
Wir nehmen heute wegen Corona Abstand zueinander, aber wir nehmen keinen Abstand von unserer Geschichte. Sie fordert uns heraus, den Menschen zu helfen, die bedroht, beschimpft oder verfolgt werden. Wir wollen dafür arbeiten, dass alle Menschen in unserer Stadt gut leben können. Gerade in Krisenzeiten wie der aktuellen Pandemie stellt sich die Frage nach dem Erinnern in einer besonderen Weise. Wir stehen hier zusammen, gemeinsam für die Erinnerungskultur.
Wir sollen uns erinnern und wir wollen uns erinnern. Ich wünsche mir, dass dieses Erinnern dazu führt, dass sich viele Menschen damit auseinandersetzen, wo wir heute stehen. Wie wir uns gegenüber den Nachbarn, den sozial Schwachen, den Flüchtlingen in unserem Land, den Andersgläubigen, den anders Aussehenden gegenüber verhalten. Das Grauen von damals soll nicht verdrängt werden. Es soll dazu dienen, die heutigen Herausforderungen zu meistern – gut zu meistern.
Jede Generation muss sich aufs Neue mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte auseinandersetzen, um aus der Vergangenheit zu lernen. Angesichts der kleiner werdenden Zahl von Zeitzeugen brauchen wir das Wachhalten der Erinnerung, die dazu beiträgt, sich für Toleranz und den Schutz von Minderheiten einzusetzen.
Um gerade auch jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, brauchen wir Symbole und Plätze, die verkörpern, an was wir uns erinnern wollen. Unser Erinnern sollte deshalb nicht nur die Vergangenheit aufleben lassen, sondern den Bogen zum hier und jetzt schlagen und uns bewusst machen, wo wir heute stehen.
Wir brauchen sichtbare Zeichen für das Nichtvergessen und Gelegenheiten zu intensiver Auseinandersetzung. In Aachen erinnern wir, indem wir Stolpersteine in unseren Weg legen, um auch unter der Zeit die Erinnerung wach zu halten.
Was können wir sonst noch tun? Miteinander sprechen, vortragen, lehren, lernen, mit eindrücklichen Veranstaltungen wie dieser daran erinnern, in unseren Alltag platzieren. Jeder von uns soll Multiplikator dieser Botschaft sein: Nie wieder Krieg, nie wieder Nationalsozialismus, nie wieder menschenverachtende Politik, nie wieder!