Das Archivale des Monats Mai 2024 …
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… zeigt zu Ehren der Karlspreisverleihung an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt ein Foto der 1862 eingeweihten Synagoge aus dem Jahr 1871. Der Fotograf ist unbekannt.
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Bei der Einweihungsfeier wehten von den Hauptkuppeln der Synagoge das Aachener Stadtbanner und die Fahne mit dem preußischen Wappen inmitten der Festflaggen, mit denen die Nachbarhäuser geschmückt waren.
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Die jüdische Gemeinde hatte ihre neue Heimat gefunden, freundlich aufgenommen von den neuen Nachbarinnen und Nachbarn. Bei diesen bedankte sich der Gemeindevorstand per Zeitungsanzeige für das Schmücken der Nachbarhäuser mit Flaggen und Blumen.
Stadtarchiv Aachen, Sammlung Savelsberg und Bibliothek CC 2592;
Echo der Gegenwart, 21. bzw. 23.09.1862
Das Aachener Stadtarchiv zeigt aus seinen Magazinen regelmäßig interessante Stücke als Archivale des Monats. Das Stück mit einem kurzen Begleittext wird in einem Schaukasten im Foyer des Stadtarchivs am Reichsweg sowie digital auf der Homepage des Archivs präsentiert. Im Mail 2024 zeigt das Archivale des Monats zu Ehren der Karlspreisverleihung an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt ein Foto der 1862 eingeweihten Synagoge aus dem Jahr 1871. Der Fotograf ist unbekannt.
Als am 18./19. September 1862 die neue Synagoge in der Promenadenstraße eingeweiht wurde, berichtete das Echo der Gegenwart in den darauffolgenden Tagen unter anderem mit einer ganzen Titelseite. Abgedruckt wurden vor allem die beiden Reden des bedeutenden, liberalen Bonner Rabbiners Dr. Ludwig Philippson (1811-1889), der zum Auszug in der alten Synagoge am Hirschgraben 10 sprach und zum Einzug in das neue, im maurischen Stil errichtete kubische Gebäude in der Nähe des Kaiserplatzes. Der Einzug in ein neues Gebäude war notwendig geworden, weil die Gemeinde gewachsen war.
Abschied und Neubeginn
In seinen Reden sprach Rabbiner Philippson über Abschied und Neubeginn. Er rief beim Einzug in die neue Synagoge der Gemeinde zu: „So überlasset Euch der ganzen Freude dieser Stunde, denn Ihr habt gebauet nicht ein Haus zum Bewohnen, nicht eine Stätte‚ schön zum Ansehen und angenehm zum Genuß, nicht zu einem weltlichen Zweck, zu Pracht und Glanz, sondern ein Gotteszelt, sich darin zu beugen vor dem unsichtbaren Schöpfer des Himmels und der Erden, eine Gotteswohnung, die Lehre des Herrn darin zu vernehmen und seinen Namen zu lobsingen, ein Heiligthum.“
Das Echo der Gegenwart berichtete von der Wehmut, die die Gemeindeangehörigen beim Auszug aus dem Hirschgraben begleitete, um das moderne Haus zu beziehen, das in deutscher und hebräischer Sprache die Inschrift trug: „Mein Haus soll genannt werden ein Bethaus für alle Völker!“ (Jesaiah 56, 7).
„Eine Zierde des neuen Stadtviertels“
„Die Prozession der jüdischen Gemeinde, eröffnet von sechs Staatswagen (deren erster von den Torarollen mit roth-sammtener Umhüllung und prächtigen Gold- und Silberkronen eingenommen wurde, während die folgenden mit dem fungierenden Rabbiner, dem Vorstand und den Repräsentanten resp. deren Stellvertreter besetzt waren), bewegte sich über den Hirsch- und Seilgraben, die Komphausbad-, Peter-, Kurhaus- und Promenadenstraße, in welcher die Synagoge gelegen, die mit ihrer schönen Fronte und mit ihren Kuppeln eine Zierde des neuen Stadtviertels geworden ist.“
Bei der Einweihungsfeier wehten von den Hauptkuppeln der Synagoge das Aachener Stadtbanner und die Fahne mit dem preußischen Wappen inmitten der Festflaggen, mit denen die Nachbarhäuser geschmückt waren. Im Inneren war die Synagoge mit 300 Gasflammen hell erleuchtet und reich mit Laub- und Blumengirlanden geschmückt. Eine große Menschenmenge hatte sich auf dem Vorplatz versammelt, darunter Vertreter aller Konfessionen, des Militärs, aus Politik und Verwaltung.
Die Einsegnung und der Einzug der Torarollen wurde begleitet von einem Sängerchor und einem Orchester. Im Anschluss fand der erste Gottesdienst statt. Den Abschluss der Feiern bildeten zwei Tage später zwei Bälle, von denen einer im Saal des Stadttheaters, der andere im Bernarts-Theater stattfand. Die jüdische Gemeinde hatte ihre neue Heimat gefunden, freundlich aufgenommen von den neuen Nachbarinnen und Nachbarn. Bei diesen bedankte sich der Gemeindevorstand per Zeitungsanzeige für das Schmücken der Nachbarhäuser mit Flaggen und Blumen: „Solche kleinen Züge geben erfreuliche Kunde von der Zunahme eines humanen Geistes in unserer geliebten Vaterstadt.“
Die Pläne für die neue Synagoge stammten vom Aachener Architekten und Lehrer an der Gewerbeschule Wilhelm Wickop. Zahlreiche lokale Unternehmen waren am Bau und der Ausstattung der Synagoge beteiligt, neben der in den Folgejahren noch ein Gemeindehaus und ein Schulanbau entstanden. Das Gebäude wurde in der Reichspogromnacht niedergebrannt. Erst 1995 wurde am historischen Ort die heutige Synagoge eröffnet.