Das Archivale des Monats August 2024...
- ... zeigt ein Konzept von Oberbürgermeister Wilhelm Farwick vom August 1922 für das geplante Programm der ersten Verfassungsfeier in Aachen.
- Nach der Revolution im November 1918 arbeitete die frei gewählte deutsche Nationalversammlung eine neue Verfassung für das Deutsche Reich aus, die am 11. August 1919 in Kraft trat. Zwischen 1921 und 1932 wurde der 11. August als Nationalfeiertag festgesetzt.
- Am 1. August 1922 verpflichtete der sozialdemokratische Innenminister Carl Severing die staatlichen Mittelbehörden, gemeinsam mit größeren Kommunen dezentrale Verfassungsfeiern vorzubereiten. In Aachen entschied man sich für einen Festakt im Krönungssaal des Rathauses.
Das Aachener Stadtarchiv stellt aus seinen Magazinen regelmäßig interessante Stücke als Archivale des Monats vor. Das Stück mit einem kurzen Begleittext wird in einem Schaukasten im Foyer des Stadtarchivs am Reichsweg sowie digital auf der Homepage des Archivs präsentiert. Im August 2024 zeigt das Archivale des Monats ein Konzept von Oberbürgermeister Wilhelm Farwick vom August 1922 für das geplante Programm der ersten Verfassungsfeier in Aachen.
Eine neue Verfassung für das Deutsche Reich
Nach der Revolution im November 1918 arbeitete die frei gewählte deutsche Nationalversammlung eine neue Verfassung für das Deutsche Reich aus, die am 11. August 1919 in Kraft trat. Sie garantierte elementare Grund- und Freiheitsrechte, führte ein freies und gleiches Wahlrecht unabhängig von sozialem Status und Geschlecht ein und regelte die Abläufe der parlamentarischen Demokratie. Zwischen 1921 und 1932 wurde der 11. August als Nationalfeiertag festgesetzt.
Am 1. August 1922 verpflichtete der sozialdemokratische Innenminister Carl Severing die staatlichen Mittelbehörden, gemeinsam mit größeren Kommunen dezentrale Verfassungsfeiern vorzubereiten. Seiner Vorstellung nach sollte es „Ansprachen und gegebenenfalls musikalische und deklamatorische Darbietungen“ geben, doch ließ er den örtlichen Veranstaltern „weitgehende Handlungsfreiheit“. Er ordnete jedoch an, die Bevölkerung einzubeziehen und insbesondere „die Organisationen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Handels- und Handwerkskammern, Innungen, Beamtenorganisationen usw.“ einzuladen.
Kurze Vorbereitungszeit
Der Erlass ließ den Aachener Akteuren nur etwas mehr als eine Woche Zeit, um die Feiern vorzubereiten und mit den belgischen Besatzungsbehörden abzustimmen. Man entschied sich für einen Festakt im Krönungssaal des Rathauses. Oberbürgermeister Wilhelm Farwick hielt das geplante Programm am 8. August in dem abgebildeten Konzept fest. Eingeladen waren über 900 Personen, die alle wichtigen Behörden, Justiz, Gewerkschaften, Kirchen, die jüdische Gemeinde, wirtschaftliche und berufsständische Organisationen, Politik und Presse repräsentierten. Der Anlass der Feier wurde durch die Aufstellung der schwarz-rot-goldenen Nationalflagge im Saal und die Beflaggung der öffentlichen Gebäude hervorgehoben.
Die Feier bestand aus drei Ansprachen. Da das Amt des Regierungspräsidenten vakant war, hielt dessen Stellvertreter Robert von Görschen die Eröffnungsrede. Eine Anregung Severings aufgreifend, würdigte er die Verfassung als ein Symbol der nationalen Einheit. Zugleich klagte er über Belastungen durch den Friedensvertrag von Versailles und Probleme der Grenzregion. Die eigentliche Festrede hielt der stellvertretende Rektor der Technischen Hochschule, Professor Max Semper. Er war kein Staats-, Rechts- oder Politikwissenschaftler, sondern Geologe und Paläontologe. In einem betont sachlichen Ton fasste er den Inhalt der Verfassung zusammen und sprach über die Wichtigkeit einer verantwortungsvollen Staatsführung. Oberbürgermeister Farwick beendete die Feier mit einem Hochruf auf Republik, Verfassung und Vaterland.
Festakt mit etwa eintausend Gästen
Dieser Ablauf der ersten Feier diente ab 1924 als Vorbild für die kommenden Jahre. Mittelpunkt blieb der meist im Rathaus veranstaltete Festakt mit etwa eintausend Gästen. Zur zehnjährigen Verfassungsfeier am 11. August 1929 lud der Regierungspräsident die Bevölkerung zusätzlich zu einer Feier ins Waldstation ein. Aus demselben Anlass rief ein Bündnis republikanischer Organisationen um das Reichsbanner „Schwarz-Rot-Gold“, SPD, Gewerkschaften und Deutsche Friedensgesellschaft zu einem Fackelmarsch auf. Oberbürgermeister Wilhelm Rombach lud Reichspräsident Paul von Hindenburg zur Feier nach Aachen ein und erhielt die Zusage zu einem Besuch an einem anderen Datum im folgenden Jahr.
Die Verfassungsfeiern waren immer auch Spiegel der politischen Verhältnisse. Das Bekenntnis zur Demokratie wirkt selbst in Festreden zuweilen oberflächlich; im Einzelfall trugen Redner auch zu Verfassungsfeiern autoritäre und nationalistische Gedanken vor. Auch Max Semper, der Festredner von 1922, wandte sich bereits während der Weimarer Republik der sogenannten „Rassenkunde“ zu. Und nach wenigen Jahren zeigten sich fatale Schwachpunkte innerhalb der Verfassung, da sie es dem Reichspräsidenten ermöglichte, mit Notverordnungen autoritär zu regieren. Ab 1930 hebelte Hindenburg die parlamentarische Demokratie auf diese Weise aus, bevor er mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 den Übergang in die NS-Diktatur einleitete