Das Archivale des Monats Oktober 2023 ...
- … zeigt ein Foto des Aachener Unternehmers Leo Deckers, der sich nach dem Ersten Weltkrieg für die Gründung einer Rheinischen Republik einsetzte und im Krisenjahr 1923 einen separatistischen Putschversuch anführte.
- Bis 1920 trat Deckers politisch nicht in Erscheinung. Danach war er Mitglied mehrerer Parteien, sie sich für einen rheinischen Staat einsetzten. Im Sommer 1923 gründete er eine eigene Gruppierung mit dem Namen „Frei-Rheinland“. Am 21. Oktober 1923 organisierte Leo Deckers in Aachen einen Putschversuch, der zum Scheitern der gesamten Rheinstaat-Bewegungen beitrug.
- Ein neu erscheinender Quellenband des Stadtarchivs zeichnet ein differenziertes Bild des Putschversuchs, seiner Hintergründe und Akteure. Er ist ab dem 21. Oktober 2023 unter stadtarchiv@mail.aachen.de zu beziehen.
Quelle:StAAc, Nachlass Leo Deckers, NLS 55-19
Das Aachener Stadtarchiv zeigt aus seinen Magazinen regelmäßig interessante Stücke als Archivale des Monats. Das Stück mit einem kurzen Begleittext wird in einem Schaukasten im Foyer des Stadtarchivs am Reichsweg sowie digital auf der Homepage des Archivs präsentiert. Im Oktober 2023 zeigt das Archivale des Monats ein Foto des Aachener Unternehmers Leo Deckers, der sich nach dem Ersten Weltkrieg für die Gründung einer Rheinischen Republik einsetzte und im Krisenjahr 1923 einen separatistischen Putschversuch anführte.
Leo Deckers war seit Ende der 1880er-Jahre in Aachen als Tuchfabrikant tätig, ab 1898 mit einer eigenen Firma, der Tuchfabrik Leo Deckers. 1903 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder eine Fabrik für chemische Produkte und Öle. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er Geschäftsführer einer Verwertungsgesellschaft für ein Grundstück am Friedrich-Wilhelm-Platz. Er stand im Ruf, durch fragwürdige Importgeschäfte während des Krieges und in den folgenden Krisenjahren sein Vermögen erworben zu haben. Diesen Umstand nutzten politische Gegner, um ihn als einen Kriminellen darzustellen.
Verfrühter Putschversuch
Bis 1920 trat Deckers politisch nicht in Erscheinung. Danach war er Mitglied mehrerer Parteien, die sich unter der Leitung von Hans Adam Dorten (Bonn/Wiesbaden), Josef Smeets (Köln) und Josef Matthes (Düsseldorf) für einen rheinischen Staat einsetzten. Im Sommer 1923 gründete er eine eigene Gruppierung mit dem Namen „Frei-Rheinland“. Als sich die Parteien Dortens und Matthes‘ auf einen Putsch im Herbst 1923 einigten und künftige Regierungsposten vergaben, organisierte Leo Deckers am 21. Oktober 1923 in Aachen einen verfrühten Putschversuch. Sehr wahrscheinlich hatten belgische Nationalisten ihn dazu gedrängt, weil Dorten und Matthes aus ihrer Sicht unter einem zu starken französischen Einfluss standen. Deckers verfrühtes Losschlagen machte die Vorbereitungen dieser beiden Akteure zunichte und trug zum Scheitern der gesamten Rheinstaat-Bewegungen bei.
Zu Beginn des Putsches proklamierte Deckers gemeinsam mit Emil Guthardt, einem zum Separatismus gewechselten früheren Freikorpsmitglied aus Duisburg, den neuen Staat. Sie besetzten öffentliche Gebäude und hissten die grün-weiß-rote Flagge ihrer Bewegung. Zur Absicherung des Putsches hatte Guthardt Milizionäre nach Aachen gebracht, die jedoch kaum bewaffnet waren. Deckers setzte vielmehr darauf, dass die Polizei nicht eingreifen oder sogar überlaufen werde, die Stadtspitze aus pragmatischen Gründen mit ihm kooperierte und die belgischen Besatzungsbehörden sein Vorgehen gutheißen würden. Allerdings scheiterte dieses Kalkül: Die Putschisten konnten ihre Macht nicht festigen und gerieten in eine Pattsituation.
Deckers wird abgesetzt
Matthes, der inzwischen an der Spitze einer in Koblenz gebildeten Putschistenregierung stand, setzte Deckers Ende Oktober ab. Danach versuchte Matthes, gestützt auf radikalere Kräfte wie Guthardt, die Situation militärisch zu wenden: Am 2. November eroberte die inzwischen wesentlich besser bewaffnete Miliz in einem mehrstündigen Feuergefecht das Aachener Rathaus, um danach das Polizeipräsidium anzugreifen. Bevor es dazu kam, griff die belgische Regierung über ihre lokalen Vertreter ein und beendete den Putschversuch.
Belgien hatte den Putsch nicht, wie häufig behauptet, vorbereitet oder unterstützt; die erwähnte Unterstützung erfuhr Deckers vielmehr von nationalistischen Kreisen in den Reihen der belgischen Besatzungsarmee und des Militärgeheimdienstes.
Leo Deckers profitierte von einer 1924 in Kraft getretenen Amnestie. Er ließ sich mit seiner Familie in Luxemburg nieder, wo er eine großbürgerliche Villa erwarb und am 2. September 1933 starb. Sein öffentliches Bild ist bis in die Gegenwart durch die politische Propaganda seiner Gegner geprägt, das in der NS-Zeit noch einmal radikalisiert wurde.
Ein im Oktober erscheinender Quellenband des Stadtarchivs zeichnet jetzt ein differenzierteres Bild. Einen Beitrag dazu leistete die heute in Trier lebende Enkelin von Deckers, aus deren Besitz das hier abgebildete Foto stammt, und die den Nachlass von Leo Deckers an das Stadtarchiv übergeben hat. Das Foto zeigt Leo Deckers in den Jahren nach dem Aachener Putsch im Park seiner Luxemburger Villa.
Quellenband des Stadtarchivs
Thomas Müller u. René Rohrkamp (Hrsg.), Der Aachener Putsch rheinischer Separatisten 1923, Aachen 2023 (280 Seiten, zahlreiche Abbildungen)
Erscheinungsdatum: 21. Oktober 2023
Preis: 25 Euro
ab dann zu beziehen beim Stadtarchiv und unter stadtarchiv@mail.aachen.de . Ein erweiterter Quellenteil des Buches wird am 21.10.2023 frei auf der Internetseite des Stadtarchivs zugänglich sein.