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Handeln für Europas Zukunft

Karlspreisverleihung, (c) Andreas Herrmann/Stadt Aachen

Mit einem eindringlichen Appell an alle Europäer, heute mehr denn je Verantwortung für das gemeinsame Europa zu übernehmen und verantwortungsbewusst, beispielhaft, nachhaltig und mutig zu handeln, hat die Präsidentin der Republik Litauen, Dr. Dalia Grybauskaitė , am heutigen Donnerstag, 9. Mai, den Internationalen Karlspreis zu Aachen entgegengenommen.

Grybauskaitė betonte in ihrer deutlichen Ansprache, dass es für das weitere Gelingen der europäischen Idee und des gemeinsamen Europas unbedingt „den politischen Willen zu verantwortungsbewussten Entscheidungen braucht“. Keine Aufgabe könne angegangen werden, ohne Verantwortung zu übernehmen. Das gelte für Führungspersönlichkeiten genauso wie für ganz gewöhnliche Europäer.

Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin nannte eine ganze Reihe von Handlungsfeldern, voran die Finanzpolitik. „Das Europa von heute braucht eine verantwortungsbewusste Finanzpolitik.“ Diese sei ganz einfach zu formulieren, aber nur schwer, wenn nicht gar schmerzlich umzusetzen: „Im Rahmen unserer Mittel bleiben!“ Wenn nicht alle Europäer nachhaltige Maßnahmen zum Haushaltsausgleich, zur Bewältigung der Staatsschulden und der Inflation träfen und auch umsetzten, „werden wir uns weiter vormachen, es gehe uns gut, auch wenn nur die Statistiken gut aussehen“.

Vertrauen der Bevölkerung in Europa
Die Karlspreisträgerin des Jahres 2013 betonte, dass Europa nicht ohne verantwortungsbewusste soziale Entscheidungen weitermachen könne. Die Finanzpolitik dürfe die am stärksten gefährdeten Menschen nicht ignorieren, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in Europa erhalten bleiben solle. Angesichts einer Generation mit extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas sagte sie: „Wir müssen schon heute investieren, damit Enttäuschung nicht zum Leitprinzip für Europa wird.“ Sozial- und Beschäftigungspolitik sowie Strukturreformen und Konjunkturpakete müssten deshalb Hand in Hand gehen. Eindringlich mahnte sie: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem heute getroffene Beschlüsse für unsere Zukunft entscheidend wichtig sind. Optieren wir also für eine Übernahme von Verantwortung und haben wir keine Angst vor schwierigen Entscheidungen.“

Den Mut Grybauskaitės, diese schwierigen Entscheidungen zu treffen und auch umzusetzen, lobte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, in seiner Laudatio. Grybauskaitės Energie, Effizienz, Verlässlichkeit und Expertenwissen hätten ihr nicht nur als erste litauische EU-Kommissarin, sondern auch als Krisenmanagerin der litauischen Wirtschaftskrise 2009 seinen höchsten Respekt eingebracht: „Vor Präsidentin Grybauskaitė habe deshalb große Achtung, weil sie mutig und gradlinig ist.“ Dass Litauen trotz aller Unkenrufe über die Zukunft des Euro weiter am Ziel festhalte, der Eurozone 2015 beizutreten, solle, so betonte Schulz, „uns sogenannte Alteuropäer wachrütteln, sollte uns Mahnung uns Ansporn sein“. Es gebe keine Krise des Euro, sondern des Euro-Managements. Schulz wiederholte seine Forderung, langfristig müsse es eine europäische Wirtschaftsregierung geben. Er plädierte genau wie die litauische Präsidentin vehement dafür, der jungen Generation in Europa Perspektiven und eine Zukunft zu geben.

Schulz würdigte die Karlspreisträgerin außerdem als „Brückenbauerin zu den östlichen Partnerländern“, die nicht den einfachsten Weg gehe, sondern stets ihrer Überzeugung folge.

Krisenbewältigung
Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp sagte in seiner Begrüßungsrede, Europa müsse die Vorteile einer gemeinsamen Währung für alle Partner erkennbar machen. Europas Weg könne nicht der Ausschluss bisheriger Mitglieder aus der Eurozone sein. Auch er unterstrich die gesellschaftliche Tragweite der Krisenbewältigung, die „uns noch lange beschäftigen wird“. Bei allen Maßnahmen sei darauf zu achten, dass diese sozial ausgewogen geschehen, damit „sich nicht ganze Schichten einer Gesellschaft als benachteiligte Verlierer eines Reformprozesses“ erführen. Philipp appellierte: „Wir dürfen nicht zulassen, dass eine fehlende Perspektive junger Menschen am Ende das Vertrauen in den Einigungsprozess zerstört, dass fehlende Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger dieses einzigartige Freiheits- und Friedensprojekt von innen aushöhlt.“

Philipp nannte als Vision: „Ich möchte gerne eines Tages sagen können, dass es in diesem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gelungen ist, die gesamte Solidarität der Völker und Staaten Europas zu bündeln im Kampf gegen die dramatische Jugendarbeitslosigkeit. Und ich möchte sagen können, dass dieser Kampf erfolgreich war.“

Bereits am Morgen der Preisverleihung hat auch der Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff bei einer Messe im Aachener Dom in seiner Predigt auf die gemeinsamen geistigen Grundlagen einer humanen Kultur Europas verwiesen. „Alle gewachsenen europäischen Werte werden gegenwärtig von einem ökonomischen Denken und Handeln, von einem ungezügelten Kapitalismus, wie von dessen siamesischem Zwilling, dem Konsumismus, bedroht“, sagte Mussinghoff. Dadurch setzten wir „Menschenschicksale und Schicksale ganzer Völker wie das Schicksal kommender Generationen aufs Spiel, der wir eine bewohnbare Welt und nicht einen Berg von Schulden hinterlassen sollen“.

Bürger auf dem Katschhof
Nach der Preisverleihung hat sich Dr. Dalia Grybauskaitė, die sich bereits seit dem Vortag in Aachen aufhält, den wartenden Aachener Bürgern auf dem Katschhof zwischen Dom und Rathaus gezeigt.

Das Karlspreis-Direktorium der Stadt Aachen hat die Staatspräsidentin Litauens Dr. Dalia Grybauskaitė als große Europäerin geehrt, die sich deutlich zu Europa und einer gemeinsamen Währung bekenne. Grybauskaitė habe sich bedeutende persönliche Verdienste um die europäische Integration erworben. Zugleich sei die Entwicklung ihres Landes dank ihrer zielstrebigen Politik beispielgebend für Europa. Die Staatspräsidentin Litauens hatte ihrem Land während der Wirtschaftskrise harte Sparmaßnahmen und strikte Haushaltsdisziplin aufgebürdet, die dazu beigetragen haben, dass die litauische Wirtschaft heute wieder um drei Prozent wächst.

Der Internationale Karlspreis zu Aachen gilt als wichtigste Auszeichnung für Verdienste um die europäische Einigung. Sie wird seit 1950 in Aachen im historischen Krönungssaal des Rathauses verliehen.

Dr. Dalia Grybauskaitė hat den 55. Karlspreis erhalten. Zu den früheren Preisträgern gehören unter anderen Konrad Adenauer (1954), die Europäische Kommission (1969), der spanische König Juan Carlos I. (1982), François Mitterand und Helmut Kohl (1988), Václav Havel (1991), Königin Beatrix der Niederlande (1996), der britische Premierminister Tony Blair (1999), der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Bill Clinton (2000), der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker (2006), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2008), Jean-Claude Trichet (2011) und Dr. Wolfgang Schäuble (2012). 2004 ist Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. mit einem außergewöhnlichen Karlspreis ausgezeichnet worden.

 

 

09.05.2013