Das Archival des Monats November 2019…
Vor 90 Jahren: Am 30. November 1929 endete die belgische Besetzung Aachens
Das Einholen der letzten belgischen Flagge am 30. November 1929 um 12 Uhr von der Villa Delius in der Friedlandstraße, dem Sitz des belgischen Generals Pouleur, beendete die elf Jahre währende belgische Besetzung Aachens nach dem Ersten Weltkrieg formal. Direkt danach verließen die letzten belgischen Soldaten Aachen. Mit einer großen Befreiungsfeier – ca. 25.000 Menschen feierten auf den Straßen der Stadt, vor allem auf dem Markt – beging Aachen diesen Tag.
Bei der Vereinbarung des Waffenstillstands im französischen Compiègne am 11. November 1918 war die Besetzung der linksrheinischen deutschen Gebiete durch die Siegermächte vereinbart worden. Die noch von deutschen Truppen besetzten Gebiete in Belgien, Luxemburg und Frankreich mussten binnen 15 Tagen geräumt werden. Danach mussten sich die deutschen Truppen aus dem linksrheinischen deutschen Gebiet sowie aus den rechtsrheinischen Brückenköpfen Köln, Koblenz und Mainz zurückziehen. Aachen fiel in die belgische Besatzungszone. Zur Vorbereitung der Besetzung trafen am 28. November 1918 zwei belgische Offiziere in Aachen ein, die eigentlichen Besatzungstruppen folgten zwei Tage später.
Die deutsche Kriegsniederlage wurde der Aachener Bevölkerung durch die Präsenz der belgischen Besatzung nicht nur täglich vor Augen geführt, die städtische Politik und die öffentliche Ordnung wurden von der Besatzung auch überwacht, beeinflusst und geprägt. Viele Aachenerinnen und Aachener empfanden diese Besatzungszeit schlicht als demütigend. Häuser und Wohnungen waren zur Unterbringung der Besatzungssoldaten beschlagnahmt worden; es gab eine Zeitungszensur und Vorschriften, die die Mobilität der Bevölkerung stark einschränkten. Dies erklärt die fast allseitige Freude am Tag des belgischen Abzugs. Die Zeitungen berichteten in patriotischer Euphorie von schwarz-weiß-rot beflaggten Häusern in der Stadt.
Doch es gab auch eine Reihe von Aachenern, die im Vorfeld des Abzugs bedroht worden waren, weil sie sich, so die Sicht der Drohenden, zu gemein mit den belgischen Besatzern gemacht oder gar Partei für die Separatisten ergriffen hätten, die 1923 mit einem Putsch gescheitert waren.
Zum „Tag der Befreiung“ brachte das Echo der Gegenwart, eine damals große Tageszeitung in Aachen, einen Sonderdruck heraus. Unter einem Bild des Rathauses steht das Gedicht „Aachen ist frei!“ von Will Hermanns, bekannter Aachener Mundartdichter, Journalist und später Leiter des städtischen Presseamtes. Er hatte eine „Weise des Niederländischen Dankgebets“ zur Befreiung verfasst und damit ein im 19. Jahrhundert im Deutschen Reich unter dem Titel „Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten“ sehr populär gewordenes Lied aufgegriffen. Wilhelm II. selbst hatte die Verbreitung des Liedes unterstützt, das zum Bestandteil des Großen Zapfenstreichs geworden war und bei besonderen offiziellen Anlässen gespielt und gesungen wurde. Das Lied war ein Symbol des deutschen Kaisertums.
Hermanns dichtete mit Pathos und inszenierte die Befreiung als Akt der nationalen Selbstbehauptung:
Aachen ist frei!
Wir lagen geschlagen, des Stärkeren Beute,
Sah’n schalten und walten den Fremden im Land,
Sah’n Edle geächtet,
Getreue geknechtet,
Die Herzen tief in Schmach, in Fesseln die Hand.
Da hoben nach droben empor wir die Stirne
Und schwuren, den Fluren hier Hüter zu sein.
Du hörtest das Flehen,
Da mußte vergehen
Im Kampfe der Verrat, und deutsch blieb der Rhein!
Nun hallen metallen die Stimmen der Türme.
Die Glocken frohlocken den Frühling herbei.
Zu lichteren Tagen,
Herr, wollen uns tragen!
Vor Dir versank die Nacht, und Aachen ist frei!
Angesichts der heutigen europäischen Freizügigkeit, des lang anhaltenden Friedens in Mitteleuropa und der vielen grenzüberschreitenden Kontakte zu den Nachbarländern erscheinen diese Verse älter als 90 Jahre.
Quelle: Stadtarchiv Aachen, Nachlass Will Hermanns, Nr. 127