Neue Technik – neue Fragen
Als Wissenschaftsstadt ist Aachen Entstehungsort vieler innovativer Technologien und profitiert massiv von der Ansiedlung junger Unternehmen, die diese Technologien auf den Markt bringen. Prominente Beispiele sind die Firma StreetScooter, die inzwischen die Deutsche Post mit ihren elektrisch angetriebenen Kleintransportern ausstattet oder die e.GO Mobile AG, die ein preisgünstiges Elektro-Auto für die Stadt produziert. Das Auto der Zukunft wird aber vermutlich nicht nur alternativ angetrieben, sondern auch automatisiert oder sogar autonom fahren.
Auch bei dieser Entwicklung will die Stadt Aachen an der Spitze stehen und ist daher Partner der „Erlebniswelt Mobilität“, in der ein Gesamtkonzept für die Mobilität der Zukunft entstehen wird. Aktuell wird im Projekt „UrbanMove“ eine digitale Plattform (App) rund um den elektrisch angetriebenen PeopleMover entwickelt. Dieser soll per App buchbar sein und Schritt für Schritt automatisiert werden.
Neue Technologien wie das autonome Fahren werfen aber auch Fragen auf. Die Stadt Aachen will helfen, die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien in Aachen voranzutreiben – ohne dass dabei die Fragen der Bürgerinnen und Bürger auf der Strecke bleiben. Zehn Fragen rund um die Chancen und Risiken des „autonomen“ Fahrens mit dem PeopleMover im Rahmen des Projekts UrbanMove werden im Folgenden beantwortet. Im Laufe des Projekts sollen dann weitere Fragen aufgenommen werden, die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Bürgerbeteiligungsaktionen (z.B. über die Hashtag-Aktion #Daumenraus) oder per E-Mail (martin.wirtz@mail.aachen.de) an die Stadtverwaltung und die Projektpartner stellen.
1. Jeder Computer macht Fehler oder stürzt mal ab. Was, wenn das mit dem System passiert, das ein autonomes Fahrzeug wie den PeopleMover lenkt?
Genau gesagt handelt es sich beim PeopleMover nicht um ein vollständig autonomes, sondern um ein hoch- bis vollautomatisiertes Fahrzeug, bei dem ein Fahrer/ eine Fahrerin weiterhin eingreifen kann. Seit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes durch den Deutschen Bundestag im März 2017 ist die Nutzung solcher Fahrzeuge und ihrer Funktionen prinzipiell erlaubt. Es muss allerdings klar durch den Hersteller geregelt sein, welche Funktionen das Fahrzeug übernehmen kann. Zudem muss das Fahrzeug seinen Fahrer / seine Fahrerin jederzeit und rechtzeitig alarmieren, falls es mit einer Situation konfrontiert sein sollte, für die die automatisierten Funktionen des Fahrzeugs unzureichend sind.
2. Wenn ohnehin ein Fahrer an Bord sein muss – lohnt sich dann überhaupt der ganze Aufwand rund um die „autonomen“ PeopleMover? Schaffen wir nicht weitere Abhängigkeiten von Internet-Giganten, die ohnehin schon zu viel über uns wissen?
Die Vorteile des autonomen Fahrens ergeben sich nicht allein aus dem möglichen Verzicht auf einen aktiven Fahrer. Vor allem die Vernetzung autonomer bzw. automatisierter Fahrzeuge erzeugt weitere Vorteile. Im Forschungsprojekt UrbanMove beispielswiese steht nicht allein der PeopleMover im Mittelpunkt, sondern auch eine Mobilitätsplattform (z.B. in Form einer App) für dessen individuelle und spontane Buchung. Da der PeopleMover elektrisch angetrieben wird, reduziert er außerdem die Belastungen durch Feinstaub und Stickoxide, die in Aachen wiederholt über den erlaubten Grenzwerten lagen. Langfristig würden fahrerlose Fahrzeuge insgesamt eine frei verfügbare Zeit von durchschnittlich 50 Minuten pro Tag mit sich bringen.
Die Mobilitätsangebote, die wir im Projekt UrbanMove entwickeln, sind „made in Aachen“. Das gilt sowohl für den PeopleMover, der vom Aachener Hersteller e.GO Mobile entwickelt wird, wie auch die zugehörige App und andere digitale Plattformen.
3. Was ist mit meiner Freiheit, die ich als Autofahrer/-in genieße, selbst am Steuer zu sitzen und jederzeit dahin zu fahren, wohin ich will?
Die Mobilitätsangebote, die wir im Projekt UrbanMove entwickeln, sollen Sie zielgerichtet möglichst genau dort abliefern, wo Sie hinwollen – und erhöhen gleichzeitig Ihre Freiheit, indem sie Sie von einem bestimmten Fahrzeug bzw. sogar von einem bestimmten Verkehrsmittel unabhängig machen. Übrigens: Durch das aktuelle Verkehrsaufkommen wird die Freiheit des PKW-Fahrens ohnehin stark eingeschränkt. Experten gehen davon aus, dass gerade durch die Vernetzung vieler autonomer Fahrzeuge weniger Staus entstehen, weil der Verkehr besser auf viele Verkehrswege verteilt wird.
4. Entstehen die meisten Vorteile des autonomen Verkehrs dann nicht eher im Individualverkehr?
Mit Angeboten, wie sie im Projekt UrbanMove entwickelt werden, kann auch das Angebot des öffentlichen Verkehrs erweitert und verbessert werden, so dass der ÖPNV insgesamt attraktiver wird. Damit wirkt das Projekt auch der Möglichkeit entgegen, dass das autonome Fahren das Verkehrsaufkommen insgesamt – mit allen seinen negativen Nebeneffekten – noch weiter erhöht.
5. In einer Folge der „Tatort“-Reihe wurde ein autonomes Fahrzeug gehackt und dann für ein Verbrechen benutzt. Ist das realistisch und muss ich mir deshalb Sorgen machen?
Ausgerechnet die so vielversprechende, vernetzte Natur autonomer Fahrzeuge bietet Angriffspunkte für Cyberkriminalität. Gleichwohl sorgt gerade die Tatsache, dass es sich hier um eine echte Gefahr handeln könnte, für das nötige Bewusstsein auf Seiten der Hersteller. Aktuelle Überlegungen gehen beispielsweise dahin, bestimmte Bereiche des Steuerungssystems von anderen Teilen zu entkoppeln und so separat zu sichern oder sogar eine Kontrollinstanz innerhalb des Fahrzeugs zu schaffen.
6. In der Presse war wiederholt von bisweilen tödlichen Unfällen mit autonomen Fahrzeugen zu lesen. Sollen diese Fahrzeuge nicht eigentlich sicherer sein?
Im konventionellen, nicht-automatisierten Straßenverkehr verunglücken jährlich fast 400.000 Menschen, über 3.000 davon sogar tödlich. Experten schätzen, dass die meisten dieser Unfälle auf menschliches Versagen zurückgehen und Automatisierung daher bis zu 90% der Unfälle vermeiden könnte. Dennoch ist jeder Unfall im Straßenverkehr einer zu viel – egal, wie er verursacht wird. Deshalb steht die Sicherheit auch im Projekt UrbanMove an erster Stelle.
7. Was ist während der Testphasen, wenn also die Technologie noch nicht ausgereift ist?
In den Tests rund um den PeopleMover werden im automatisierten Modus deshalb Geschwindigkeiten von 30 km/h nicht überschritten. Dadurch unterscheidet sich die Herangehensweise von UrbanMove von Tests großer Konzerne etwa in den USA und folgt eher dem Beispiel vergleichbarer Pilotprojekte in Deutschland und Europa, die nach unserer Kenntnis unfallfrei verlaufen sind. Man kann sich die autonomen Fahrzeuge in diesen Tests eher wie eine Fahrschule vorstellen, in der das Fahrzeug langsam und in einfachen Verkehrssituationen anfängt und sich dann schrittweise weiterentwickelt.
8. Was tut ein autonomes Fahrzeug wie der PeopleMover, wenn ein Unfall unausweichlich ist und zwischen zwei Übeln abgewogen werden muss?
Szenarien wie das berühmte „Trolley Problem“ sind für das autonome Fahren eine viel diskutierte Herausforderung. Solange – wie beim automatisierten Fahren – allerdings ein Fahrer / eine Fahrerin an Bord ist, der vom System rechtzeitig gewarnt wird und bereit sein muss, zu übernehmen, stellen sich die daraus resultierenden Fragen nicht. Darüber hinaus sorgen die geringen Geschwindigkeiten dafür, dass unausweichliche Unfälle sehr unwahrscheinlich sind.
9. Werden durch den PeopleMover die Arbeitsplätze von Busfahrern und Busfahrerinnen bedroht?
Da auch hoch- bis vollautomatisierte Fahrzeuge wie der PeopleMover vorerst mit Fahrer bzw. Begleitperson unterwegs sein müssen, werden keine Busfahrer/innen ersetzt. Langfristig werden sie sich zu „Mobilitätslotsen“ weiterentwickeln, die Mitfahrende z.B. aus Sicherheitsgründen bei Nachtfahrten begleiten. Weil der PeopleMover außerdem den bestehenden ÖPNV eher ergänzt als ihn zu ersetzen, wird sowieso keine Konkurrenz geschaffen.
10. Digitalisierung, Automatisierung – läuft das langfristig nicht immer auf den Verlust von Arbeitsplätzen hinaus? Sollte man das autonome Fahren dann überhaupt erforschen?
Fest steht schon jetzt, dass andere Städte für ihre Pilotprojekte zu autonomem Fahren und für den teilweise schon laufenden Regelbetrieb entsprechende Fahrzeuge einkaufen. In Aachen dagegen sollen solche Fahrzeuge dauerhaft vor Ort produziert werden und so eher für neue Arbeitsplätze sorgen, statt sie zu vernichten. Die Förderung von Technologie „made in Aachen“ wird sich also positiv auf den örtlichen Arbeitsmarkt auswirken.