Drei neue Verfahrenslotsinnen für Aachen
- Drei Verfahrenslotsinnen unterstützen seit September 2024 junge Menschen mit (drohender) Behinderung und deren Familien bei bürokratischen Herausforderungen und beraten das Jugendamt Aachen bei der Weiterentwicklung inklusiver Angebote.
- Die Beratung soll Betroffene und ihre Familien durch unterschiedliche Zuständigkeiten lotsen und ihnen dabei helfen, Leistungen zur Teilhabe in Anspruch zu nehmen.
- Grund für die Neuschaffung der Stellen ist eine Ergänzung im Sozialgesetzbuch (SGB).
Seit Mitte September 2024 ist das neue Team der Verfahrenslotsinnen bei der Stadt Aachen komplett: Alexandra Eichelmann, Marissa Bengels und Birte Homfeldt-Pals helfen jungen Menschen mit (drohender) geistiger, körperlicher und/oder seelischer Behinderung und ihren Familien. Das Aufgabenspektrum der drei studierten Sozialpädagoginnen ist vielfältig: Unterstützung und Begleitung bei der Antragstellung sowie Verfolgung und Wahrnehmung der Ansprüche Betroffener auf Leistungen der sogenannten Eingliederungshilfe. Das Team aus dem Fachbereich Kinder, Jugend und Schule lotst buchstäblich durch einen bürokratischen Dschungel, da die Zuständigkeiten und Leistungen je nach Alter, Art der Behinderung und individuellem Bedarf der Betroffenen unterschiedlich sind.
Die Arbeit der Verfahrenslotsinnen
An die Verfahrenslotsinnen können sich nicht nur alle jungen, betroffenen Menschen bis 27 Jahre wenden, sondern auch deren Eltern, Sorge- und Erziehungsberechtigte, Pflegeeltern oder gesetzliche Betreuer*innen. Häufig stellen auch Leiter*innen von Kindertagesstätten, Schulsozialarbeiter*innen oder andere Fachkräfte den Erstkontakt zu den Verfahrenslotsinnen her. Wichtig ist, dass das Team sowohl bei jeder Behinderungsform – ob seelisch, geistig oder körperlich – als auch bei drohender Behinderung berät und unterstützt. Doch dies ist nur ein Schwerpunkt der Arbeit der Lotsinnen: Zugleich sollen sie durch regelmäßige Berichterstattung an das Jugendamt Aachen sowie an den Kinder- und Jugendausschuss der Stadt bei der Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe mitwirken. Das Ziel der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist, Leistungen für alle junge Menschen mit und ohne Behinderung unter dem Dach des Jugendamts zusammenzuführen.
Obwohl die Lotsinnen beim Jugendamt Aachen angestellt sind, arbeiten sie inhaltlich unabhängig, um Betroffene frei und parteilich unterstützen zu können. Dass dies Konfliktpotential birgt, weiß auch Eichelmann: „Trotz unserer besonderen Stellung agieren wir stets im Sinne der Betroffenen. Wir beraten neutral und informieren gegebenenfalls auch über mögliche Rechtswege. Es ist uns sehr wichtig, dass wir als unabhängige Vermittlerinnen angesehen werden.“
Alexandra Eichelmann, Birte Homfeldt-Pals und Marissa Bengels (v. l.) bilden das neue Team der Verfahrenslotsinnen bei der Stadt Aachen. © Stadt Aachen / Antonia Knop
Der gesetzliche Hintergrund
Die Einrichtung des neuen Teams folgt aus einer neuen gesetzlichen Vorgabe. Durch das Inkrafttreten von Paragraph 10b des SGB VIII zum 1. Januar 2024 verpflichtete der Gesetzgeber Städte und Kommunen bundesweit zu der Einrichtung von Stellen für Verfahrenslots*innen. Mit der Komplettierung des neuen Teams erfüllt die Stadt Aachen diesen Anspruch.
Das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes zur Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist zum 1. Januar 2028 geplant. Durch den Bruch der Koalition auf Bundesebene wird der entsprechende Gesetzesentwurf aber nicht mehr in der jetzigen Legislaturperiode verabschiedet werden. Bisher ist die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII nur für Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung zuständig. Für geistige und/oder körperliche Behinderungen sind in Aachen der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und das Sozialamt der StädteRegion zuständig. Das Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz (IKJHG) soll Zuständigkeitsproblematiken abschaffen, sodass bürokratische Herausforderungen wegfallen. Das Gesetz soll außerdem dafür sorgen, dass die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unabhängig von möglicherweise bestehenden Behinderungen ganzheitlich und individuell betrachtet werden kann – sowohl in erzieherischer Hinsicht als auch in Bezug auf ihre Teilhabe. Das Wie und Wann der Umsetzung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe befindet sich nun allerdings weiterhin in einem Schwebezustand.
Die Transformation mitgestalten
Ein großer Pluspunkt an der neuen Arbeit ist die damit verknüpfte Doppelfunktion, nämlich Betroffene bei der Inanspruchnahme von Leistungen zur gleichberechtigten Teilhabe zu unterstützen und den Umwandlungsprozess der Kinder- und Jugendhilfe mitzugestalten, findet Homfeldt-Pals: „Beide Aspekte unserer Tätigkeit, die sich gegenseitig ergänzen, beinhalten für uns als Team noch teilweise unbekanntes Terrain, was die Arbeit interessant macht. Dass wir Betroffene dabei unterstützen können, ihre Ansprüche geltend zu machen und gleichzeitig strukturelle Herausforderungen bei der Jugendhilfe benennen und weitergeben können, ist wirklich toll.“ Die Verfahrenslotsinnen beraten nicht nur in ihrem Büro oder telefonisch, sondern auch bei den Familien zu Hause oder gehen, wenn gewünscht, mit zu Behörden und Ämtern. Ein häufiger Anfragegrund sei derzeit beispielsweise die Ablehnung einer KiTa-Assistenz, die den Kindern jedoch meist zustehe.
Aufbau von wichtigen Kontakten
In den letzten Wochen hat das Team viele Kontakte sowohl innerhalb als auch außerhalb der Verwaltung geknüpft. „Wir haben uns in jedem Team unseres Fachbereichs vorgestellt und haben auch Ersttermine bei relevanten externen Einrichtungen gemacht. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, es ist für uns enorm wichtig zu erfahren, wo Hürden und Schwierigkeiten auftreten, wohin wir beraten und zudem von der Expertise der anderen zu profitieren“, erklärt Bengels. Da die Verfahrenslots*innenstellen komplett neu sind, engagieren sich die drei Mitarbeiterinnen auch bei einem Arbeitskreis des LVR, in dem sie sich mit anderen Verfahrenslots*innen vernetzen können. Für die Zukunft plant das Team, verstärkt in die Sozialräume zu gehen. Die Lotsinnen möchten sowohl die Kontaktaufnahme als auch das Unterstützungsangebot möglichst niedrigschwellig gestalten.
Wer Kontakt zu den Verfahrenslotsinnen aufnehmen möchte, kann dies per Mail unter verfahrenslotsen@mail.aachen.de oder telefonisch tun (Telefonnummern und weitere Infos: https://serviceportal.aachen.de/suche/-/vr-bis-detail/dienstleistung/6349491/show). Die Beratung erfolgt vertraulich, unabhängig und kostenlos.
Herausgegeben am 21.02.2025