Die Begründung für die Verleihung an den EURO
Begründung des Direktoriums
für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen
an den EURO – getragen durch die Europäische Zentralbank
I.
Nach dem Willen seiner Initiatoren soll der Internationale Karlspreis zu Aachen verliehen werden für einen hervorragenden Beitrag im Dienste der europäischen Verständigung und Gemeinschaftsarbeit, der Humanität und des Weltfriedens. Geehrt wird die Förderung des Vereinten Europas in politischer, wirtschaftlicher und geistig-kultureller Beziehung. Wie kein anderer Integrationsschritt zuvor wird die neue Währung, der EURO, die Identifikation mit Europa befördern. Der EURO leistet damit einen entscheidenden, epochemachenden Beitrag zum Zusammenwachsen der Völkerfamilie.
Mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an den EURO – getragen durch die Europäische Zentralbank – werden auch die Verdienste all jener Persönlichkeiten gewürdigt, die mannigfachen Widerständen zum Trotz an der Vision einer gemeinsamen Währung für das Vereinte Europa festgehalten und sie verwirklicht haben. Das Karlspreisdirektorium ehrt mit dem EURO eine Maßnahme, die stabilisierend für die Gemeinschaft wirkt, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik unterstützt und die Basis bildet für eine abgestimmte Wirtschafts-und Sozialpolitik sowie für andere politische Felder der Gemeinschaft. Die Einführung des EURO begründet somit eine neue Stufe des europäischen Einigungsprozesses.
II.
Wir verdanken der europäischen Integration die längste Friedensperiode in unserer Geschichte. Dass auf dem europäischen Kontinent Krieg und Diktatur, totalitäre Ideologien und Spaltung überwunden wurden, dass Friede, Freiheit, Verständigung und Versöhnung sich durchsetzten, mag vielfältigen Ursachen zu danken sein. Ohne die zentrale Stellung, die der Gedanke der europäischen Einigung einnahm, wäre diese positive Entwicklung allerdings ausgeblieben.
Ein wesentlicher Baustein für dieses Vereinte Europa ist die europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Unser Kontinent – mit so vielen Völkern und Nationen, Sprachen und Kulturen – wächst hierdurch enger zusammen als jemals zuvor. Und diese Integration ist aus freien Stücken, in Frieden und Freiheit erfolgt – ein seltener Augenblick in der jahrtausendealten Geschichte Europas.
Als die Währungsunion vor mehr als einem Jahrzehnt auf den Weg gebracht wurde, hielten das viele für eine Illusion. Mit dem Vertrag von Maastricht und mit der Gründung der Europäischen Zentralbank am 1. Juni 1998 aber hat sich gezeigt, dass sich die gemeinsamen Anstrengungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelohnt haben. Die großen Visionäre haben sich am Ende des Jahrhunderts als die eigentlichen Realisten erwiesen.
Kein Integrationsschritt seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften hat so tief in das Leben der Menschen eingegriffen, wie dies beim EURO spätestens mit Beginn des Jahres 2002 der Fall sein wird. Wenn die Menschen an der Algarve und in Dublin, in der Bretagne und im Burgenland, in Lappland und auf Sizilien – um nur einige Regionen zu nennen – in der gleichen Währung zahlen, dann werden sie Europa wortwörtlich als bare Münze in der Tasche mit sich tragen, dann werden sie buchstäblich mit den Händen greifen können, dass Europa eine gewachsene Gemeinschaft und der EURO ein Symbol hierfür ist. Der EURO ist die überzeugendste, pragmatischste Lösung auf dem Weg zur europäischen Gemeinsamkeit seit mehr als 1200 Jahren.
Mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises im Jahre 2002 tragen wir der Überzeugung Rechnung, dass gerade aus dem EURO ein völlig neues Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Union erwachsen wird. Denn Währungen waren in der Geschichte schon immer mehr als nur ein Zahlungsmittel; sie waren und sind stets auch ein Stück gemeinsamer Identität und Kultur und ein Gradmesser politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität. Und: Stabilität ist nicht alles, aber ohne Stabilität ist alles nichts.
Um einen realistischen Maßstab für die historische Dimension der Herausforderung zu gewinnen, mag der Hinweis genügen, dass seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge und dem Beginn der Europäischen Gemeinschaft schon immer die Zielvorstellung bestanden hat, den gemeinsamen Markt durch ein gemeinsames Zahlungsmittel, durch eine Wirtschafts- und Währungsunion zu krönen. Dabei ist der Einigungsprozess keineswegs geradlinig verlaufen. Viele Initiativen konnten die Integration nicht wirklich vorantreiben. Das gilt für das Aktionsprogramm, das die Kommission der EWG schon in den 60er Jahren für die zweite Stufe der Zollunion entwickelte, ebenso wie für die Pläne auf der Grundlage des Werner-Berichts im Jahre 1970, als man sich im Angesicht des Zusammenbruchs des festen Wechselkurs-Systems von Bretton Woods um ein Mehr an Stabilität bemühte. Ernsthafte Fortschritte waren dann mit Inkrafttreten des Europäischen Währungssystems 1979, mit einer Zone zunehmender Währungsstabilität, zu verzeichnen.
Die 13 Jahre später im Vertrag von Maastricht beschlossene Einführung des EURO ist eine der großen Antworten Europas auch auf die Globalisierung der Weltwirtschaft und auf den immer stärkeren weltweiten Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften. Die Währungsunion erhöht die Preistransparenz und schaltet Wechselkursrisiken zwischen den Teilnehmerstaaten aus. Dies bedeutet: höhere Planungssicherheit; neue unternehmerische Chancen; Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen, die nicht den Schwankungen der Devisenmärkte unterliegen, und schließlich: ein großer und leistungsfähiger europäischer Finanzmarkt mit einem EU-weiten Gewinn sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit.
Aber der EURO ist nicht allein Werteinheit, sondern vielmehr Wertmaßstab, und er entfaltet vor allem eine identitäts-, vielleicht sogar friedensstiftende Wirkung. Und wer künftig von Frankreich nach Griechenland, von Österreich nach Finnland, von Luxemburg nach Portugal, von Belgien nach Irland, von Spanien in die Niederlande und von Deutschland nach Italien reist, der wird durch den EURO ein "Stück Heimat" auch jenseits der nationalen Grenzen erleben.
Sinnbildlich für die gemeinsame Währung steht als Wächterin über deren Stabilität die Europäische Zentralbank mit ihrem Präsidenten Wim Duisenberg, der stellvertretend für den EURO am 9. Mai 2002 den Internationalen Karlspreis zu Aachen entgegennehmen wird.
III.
Mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen im Jahre 2002 verbindet das Karlspreisdirektorium die Hoffnung und Erwartung, dass das gemeinsame Zahlungsmittel die Menschen unseres Kontinents noch enger zusammenführt, dass die identitäts- und friedensstiftende Wirkung des EURO eine noch stärkere Anziehungskraft auch auf die Staaten und Nationen ausübt, die heute noch nicht die gemeinsame Währung eingeführt haben und auf die, die noch nicht der Gemeinschaft angehören, und dass die irreversible Währungsunion maßgeblicher Impulsgeber für die Vollendung der Politischen Union sein wird.