Der Osten
Die Initiative "Europäische Horizonte" zeigt im Zeitraum 2012 bis 2013 mit einer vierteiligen Reihe zum Thema "Himmelsrichtungen: Koordinaten einer mentalen Geographie" die kulturellen, sozialen, politischen und geographisch-räumlichen Bedeutungen der Himmelsrichtungen auf. Die dritte Veranstaltung der Reihe beschäftigte sich am 25.10.2012 mit dem Osten. Das EUROPE DIRECT Informationsbüro Aachen beteiligte sich als Veranstaltungspartner.
Schon in der Antike und im Christentum glaubte viele Menschen im westlichen Europa, die Erleuchtung käme aus dem Osten. Zugleich wähnte das Abendland aber auch große Gefahren im Osten: Mongolen, Türken – und im Kalten Krieg die Russen. Seit der Aufklärung gilt der Osten vielen in Abgrenzung zum Westen als rückständig und despotisch. Doch gilt das heute noch? Und wo verorten wir in Zeiten der Globalisierung eigentlich den Osten?
Katharina Raabe, Lektorin im Suhrkamp-Verlag, und Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa, begaben sich im Ludwig Forum Aachen auf die Suche.
Nach einer Begrüßung durch die Direktorin des Ludwig Forums Dr. Brigitte Franzen und eine Einführung von Prof. Helmut König vom IPW der RWTH Aachen griffen Frau Raabe und Herr Sapper zunächst bestehende Klischees vom "Osten" auf. Seit der Aufklärung herrschte ein Bedrohungsklischee vor; der Westen grenzte sich vom Osten ab und erhöhte sich selbst damit. Aber es gab im frühen 20. Jahrhunder auch Heilserwartungen an den Osten, die jedoch durch 70 Jahre Sozialismus weitestgehend zerstört wurden. Ein anderer Blick auf den Osten zeigt diesen als ein vielsprachiges und multikulturelles Osteuropa mit phantastischen Sagen, Mythen und vielen Geschichtenerzählern.
Deutschland nimmt in Europa in Bezug auf Osteuropa seit jeher eine besondere Stellung ein, was nicht zuletzt die "deutschen Siedlungen" in Polen, Russland, Tschechien usw. zeigen. Somit ist es folgerichtig, dass es v.a. in Deutschland Osteuropa-Studien und Literatur mit dem Schwerpunkt Osteuropa gibt. Frau Raabe stellte dar, dass viele osteuropäische Autoren erst über die "Zwischenstation" Deutschland einen Zugang zu anderen Literaturmäkten in Westeuropa und anderen Teilen der Welt fänden.
Beide Referenten waren sich einig, dass der Begriff "Osten" sehr relativ ist und nur in Westeuropa oder anderen westlichen Ländern verwendet wird. In Polen usw. selbst verorte man sich keineswegs als "im Osten" oder "in Osteuropa". Herr Sapper griff die Bezeichnung "Osterweiterung der EU" auf und stellte dem die Beobachtung entgegen, dass der Osten (d.h. die Menschen, die Kultur usw.) inzwischen im Westen angekommen sei, dies jedoch in Deutschland oft nicht als wertvolles Potenzial wahrgenommen werde.
Der große Besucherandrang von 120 Gästen und die Fragen aus dem Publikum am Ende der Veranstaltunge zeigten auf jeden Fall, dass das Interesse am "Osten" im Westzipfel der Bundesrepublik sehr groß ist.