Wir verwenden Cookies, um für Sie die Benutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessern. OK Weitere Informationen




Inhalt



Das Archivale des Monats Juni 2024 …

  • … zeigt ein Plakat aus dem Jahr 1977 von Klaus Paier für das Männerfest der „Aachener Printenschwestern“.

  • Homosexualität zwischen Männern war von 1871 und 1994 in Deutschland nach Paragraph 175 StGB strafbar. Im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre entstanden in zahlreichen deutschen Städten, so auch in Aachen, schwul-lesbische Aktionsgruppen.

  • In Aachen bildete sich in der zweiten Hälfte der 1970-er Jahre eine Gruppe mit dem humorvollen, aber auch provokanten Namen „Aachener Printenschwestern“. Man experimentierte mit öffentlichem Auftreten in weiblicher Kleidung sowie mit Fotografie und Theater.

Männerfest_420Stadtarchiv Aachen, Sammlung Zivilgesellschaft, SLG 117-5007.
Die Zitate stammen aus dem Reader: Materialien zur Geschichte der Aachener Schwulengruppen seit 1972, Verfasser unbekannt, Stadtarchiv Aachen, SLG 117-146.

Das Aachener Stadtarchiv stellt aus seinen Magazinen regelmäßig interessante Stücke als Archivale des Monats vor. Das Stück mit einem kurzen Begleittext wird in einem Schaukasten im Foyer des Stadtarchivs am Reichsweg sowie digital auf der Homepage des Archivs präsentiert. Im Juni 2024 zeigt das Archivale des Monats ein Plakat aus dem Jahr 1977 von Klaus Paier für das Männerfest der „Aachener Printenschwestern“.

Am 28. Juni 1969 kam es in New York zu einem Aufstand homosexueller und queerer Menschen gegen willkürliche Polizeigewalt. Die damaligen Ereignisse wurden rasch zu einem Bezugspunkt für Menschen, die den vorherrschenden Normen von Geschlecht und Sexualität nicht entsprechen wollten oder konnten. Ein heute weltweit sichtbarer Ausdruck dieser Bewegung sind die Paraden zum Christopher Street Day, benannt nach dem Ort des Aufstandes im Juni 1969.

Homosexualität zwischen Männern war von 1871 und 1994 in Deutschland nach Paragraph 175 StGB strafbar und wurde in unterschiedlicher Intensität juristisch verfolgt - während der NS-Zeit bis hin zur Inhaftierung und Ermordung in Konzentrationslagern. Die mangelnde Aufarbeitung und fehlende Würdigung der Opfer führte in der frühen Bundesrepublik zu einer Situation, die ein Aachener Aktivist der Schwulen-Bewegung rückblickend als „Friedhofsruhe“ beschrieb: „Die Masse der Homosexuellen lebte […] zurückgezogen und gut getarnt […] ‚Schwules Leben‘ war – wenn überhaupt – nur im Ghetto möglich: Parks und Pissoirs hatten Dauerkonjunktur; es gab einzelne äußerst private Zirkel, in denen nicht nur diskutiert wurde; zwei Schwulenkneipen gab’s mit Rotlicht, schwülstigem ‚Tuntenbarockdekor‘ und Gesichtskontrolle am Eingang: die Schützenstube und das ‚La Boutique‘ in der Reihstraße; für größere Lustbarkeiten fuhr man nach Amsterdam, dem traditionellen liberalen Schwulenmekka in den 50er und 60er Jahren.“

„Gesellschaft für Sexualreform“
Im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre entstanden in zahlreichen deutschen Städten, so auch in Aachen, schwul-lesbische Aktionsgruppen. Auslöser in Aachen war die Aufführung des Spielfilms „Nicht der Homosexuelle ist pervers…“ von Rosa von Praunheim, der im Juni 1972 von Kölner Aktivisten an der RWTH Aachen gezeigt wurde. Die Aachener Gruppe gab sich den Namen „Gesellschaft für Sexualreform“. Sie organisierte kulturelle und gesellige Veranstaltungen, trat aufklärerisch in die Öffentlichkeitsarbeit und kämpfte politisch für die Abschaffung des Paragraphen 175. Dabei erlebte sie neben Zuspruch auch Ablehnung. Als die Stadt Aachen einen Informationsstand der Gruppe untersagte, kam es 1976/77 zu einem Rechtsstreit in mehreren Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht.

Infragestellung traditioneller Rollen
Die Infragestellung traditioneller Rollen eröffnete den Raum für einen selbstbestimmten Umgang mit Gender und Sexualität, von dem unsere Gesellschaft bis heute profitiert. Gleichzeitig hatte sie jedoch auch Schattenseiten, etwa wenn Pädophilie verharmlost oder sogar positiv umgedeutet wurde. Aus Aachen ist beispielsweise ein Einladungsplakat zur Lesung eines offen pädophilen Buchautors von 1979 überliefert, das sexuellen Missbrauch von Kindern als eine Art Spiel darstellt.

In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre schlugen einige Aktivisten der „Gesellschaft für Sexualreform“ eine neue Richtung ein. Einer von ihnen schrieb später: „Wir konnten die trockenen Flugblätter nicht mehr sehen […] Nein, wir wollten gemeinsam mal etwas anderes ausprobieren; versuchen, unsere Lust und unsere Last mit dem Schwulsein sinnlicher zu vermitteln“. Hierfür wählte die Gruppe den humorvollen, aber auch provokanten Namen „Aachener Printenschwestern“. Man experimentierte mit öffentlichem Auftreten in weiblicher Kleidung sowie mit Fotografie und Theater.

Eine erste größere Veranstaltung war das „Männerfest“: „Zusammen mit Männern aus den Aachener Männergruppen (den Männern also, die nicht mehr nach der althergebrachten Rollenverteilung ‚Harter Macker, süßes Frauchen‘ leben wollen) organisierten wir einen schönen langen Abend in einem Kellergewölbe. Es gab Malwände, Schminktisch, Fummelstände (Wie kommt der bärtige Mann in das rosa Negligé?), Lieder, Selbstdarstellungen und ein kleines Theaterstück über das Verhältnis von Männern zu ihrem Körper und ihrer Sexualität.“

„Männerfest“ im Malteserkeller
Das abgebildete Plakat lud zum Männerfest der „Aachener Prinzenschwestern“ am 15. Mai 1977 im Jazzlokal Malteserkeller ein. Gezeichnet hat es der Künstler und Aktivist Klaus Paier (1945-2009), der vor allem durch seine Graffiti- und Streetart-Arbeiten in Aachen und Köln bekannt ist – Arbeiten, die damals häufig als „Schmierereien“ bezeichnet und zerstört wurden.

Ganz im Sinne der „Printenschwestern“ zeigt Paier eine elegante, selbstbewusste, nichtbinäre Person, die durch Kleidung und Schminke gleichwertig als männlich und weiblich gelesen werden kann. Er/sie steht vor einem Fenster voller Sonnenstrahlen – ein Sinnbild für Optimismus.

11.06.2024